Ansprache von
Walter Schumacher, Kulturstaatssekretär a.D.,
bei der Vernissage von
Lore Bert
Stationen
am 26. Mai 2024 in der
Skulpturenhalle der
Stiftung für Konkrete Kunst Roland Phleps
in Freiburg
Verehrte, liebe Lore Bert!
Liebe Dorothea,
sehr geehrte Damen und Herren!
Lore Bert kruschelt.
Kruscheln?
Kruscheln gehört nicht zum deutschen Grundwortschatz
, schreibt
das Wörterbuch.
Ich kruschele
Du kruschelst
Er, sie, es kruschelt
Präteritum: Ich kruschelte
Partizip II: gekruschelt
Imperativ Singular: Kruschle!
Das Wort stammt aus dem Hessischen, wie Lore Bert, die in Gießen geboren wurde und in Darmstadt und dann in Berlin Malerei studierte. Sie widmete sich auch der Bildhauerei, der Objektkunst und ganz der Papierkunst. Auch mit "Kruschelpapier".
Ich hätte auch anders anfangen können, ganz oben:
Papst Franziskus hat jüngst die Notwendigkeit von Kunst für
die Welt betont. Sie erziehe den Menschen zu einem Blick,
der nicht besitzergreifend, nicht objektivierend, aber auch nicht
gleichgültig und oberflächlich ist
.
Er hoffe mit ganzem Herzen, dass zeitgenössische Kunst unseren Blick
öffnen könne. Papst Franziskus, der erste Papst, der die Biennale in
Venedig besuchte.
Venedig! Lore Bert lebt seit den 90er Jahren in Venedig - und weiter in Mainz, ihrem Heimathafen. So hat sie nie schlechtes Wetter und immer gutes Licht. Das Licht scheint in ihren Arbeiten auf ("Leuchtturm in Weiß" ist ein Titel). Die Künstlerin arbeitet mit Licht, mit weißem Papier, Gold, Farben, Zahlen, Buchstaben. Und es ist ein exakter Prozess, den Lore Bert so beschreibt:
Ich versuche, jede Arbeit so lange zu verbessern, bis sie meinen Vorstellungen entspricht. Erst erfinde ich eine Komposition. Dann verbessere ich sie hier und da. Wenn ich zufrieden bin, übertrage ich sie auf meine Bilder, male sie aus, oder beklebe sie mit Blattgold.
Meine Mitarbeiterinnen kleben dann die kleinen handgeschöpften Japanpapiere (etwa 6 mal 6 cm) darauf. Bei einem Bild von 180 auf 180 cm brauchen 2 Mitarbeiterinnen 2 bis 3 Monate.
Die Künstlerin kontrolliert, wacht, überprüft.
Auch den Aufbau dieser Ausstellung hat sie genau bestimmt und ist nicht erst heute oder gestern angereist. Sie bestimmt, bis es stimmig ist.
Alle Objekte in dieser Ausstellung sind mit Papyrus und Japanpapier
gearbeitet. Es handelt sich um hauchdünnes, handgeschöpftes weißes
Japanpapier aus Reisschleim (wenn sie’s genau wissen wollen). Auf
einer Reihe von Bildern werden Elemente aus Papyrus aufcollagiert.
Papyrus hat Lore Bert zuerst in Ägypten gekauft.
Nepalpapier in Nepal.
Papier aus Korea und China in Korea und China.
Maulbeerbaumpapier.
Es wird auch gekruschelt.
Das Papiermaterial ist kostbar.
Dazu Blattgold, Watte, Neonröhren und Hasendraht.
Angesichts der schönen Bilder wollen Sie das vielleicht gar nicht so
genau wissen, ists profan und banal. Aber so wie Lore Bert in aller
Welt Papier erworben hat, so hat sie auch in aller Welt ausgestellt.
Über 300 Ausstellungen in 28 Ländern in den letzten
40 Jahren, 40 Museumsausstellungen. Installationen, wie
hier im Hauptraum die Installation "Stationen", hat sie in
Europa, Asien, Afrika, USA, Canada, Nahost und Fernost und Mexiko
realisiert. Über 129 - Stets in Weiß. Mit gekruscheltem Papier.
Meine Papierwolken
, sagt sie, und eine Installation Glück ist
wie Wolken
.
Die Ausstellungen sind dokumentiert in über 130 Publikationen, in über 60 Monographien. Die erste Auslands-Ausstellung war 1985 in Montreal. Und dazu: Abu Dhabi, Aranjuez, Basel, Bordeaux, Brüssel, Edinburgh, Kairo, Kathmandu, Linz, Lodz, Los Angeles, Mailand, Paris, Reykjavik, Vereinigte Arabische Emirate, Rom, Sarajevo, Seoul, Sintra, St. Louis, Shanghai, Stockholm, Tokio, Triest, Zürich.
In Sarjah wurde sie 2007 mit einer Retrospektion geehrt: Mehr als 300 Werke aus 5 Jahrzehnten wurden in 36 Sälen des Museums gezeigt. Ja, und Venedig - und Mainz, Gutenbergmuseum.
In Deutschland stellt Lore Bert in Galerien und Museen aus, aber auch in Palästen und Bibliotheken, in ehemaligen Kirchen, Kapellen, Klöstern und Synagogen.
Auf Kunstmessen ist sie, war sie auch vertreten, international, 21 Jahre auf der Art Basel, Art Zürich, Art Karlsruhe, Art Cologne, Bologna Art Fair, Art Dubai, Art Chicago 13 Jahre.
Immer präsentiert von der Galerie Dorothea van der Koelen. Die Galeristin ist anwesend - und die Tochter der Künstlerin.
Dorothea hat mit 19, 3 Monate nach dem Abitur, ihre Galerie eröffnet, in Mainz. Und parallel studiert und promoviert. Mit 21 war sie die jüngste Ausstellerin auf der Art Basel. Und 2001 hat sie La Galleria Venedig eröffnet.
Die ganze Welt ist unsere Heimat geworden
, schreibt Lore Bert
in ihrem Buch: "Spaziergang durch ein Leben."
600 Seiten, 1400 Photos, großes Format. Den Text hat sie,
ohne Tagebuch geführt zu haben, handschriftlich verfasst. Auf Papier.
Als ob das alles ein Spaziergang gewesen wäre und keine Anstrengung und
Mühe. Es war aber in aller Welt Anerkennung für ihre Kunst. Und Lore
Bert hat jedes Land respektiert, die Menschen und ihre Gewohnheiten.
Und neue Ideen und Materialien für ihre Kunst gesammelt. So ist die
Künstlerin zu einer Botschafterin für Völkerverständigung, für Frieden
und Respekt, für den Dialog der Kulturen geworden. Sie hat es,
bescheidener, so gesagt: Behutsamkeit ist ein Anliegen meiner
Kunst
.
Seit vielen Jahren gilt Lore Bert als eine feste Instanz im
internationalen Kunstbetrieb
, heißt es in der Begründung
zur Verleihung des "Signs-Award" 2022, die jüngste
Auszeichnung von vielen.
Sie war mehrfach Ehrenkünstlerin der
Biennale. Für Ihre künstlerische Arbeit, die Ländergrenzen
überschreitet und international Zeichen setzt, erhält Lore Bert den
Signs-Award.
Kategorie Kunst. Er ehrt "Impulsgeber".
In der Kategorie Wissenschaft wurden Özlem Türeci und Uğur Şahin
geehrt, die Biontech-Gründer.
Lore Berts bekanntester Interpret ist der große Kunstkritiker und
Kurator Jan Hoet, künstlerischer Leiter der Dokumenta, als sie Kunst
zeigte, 1992. Jan Hoet schreibt: Das Weiß, das überall durchkommt,
ist auch der besondere Faktor des ganzen Œuvres, das Weiß, das
auch der Inhalt der Weisheit ist …
(Eine Koryphäe darf das … Heidegger hat auch Kalauer
geschätzt …)
Wieder weiter mit Jan Hoet:
Zu den wichtigsten Arbeiten von Lore Bert gehören die mit symbolischen Bezügen zu anderen Kulturen. Stets auf der Suche, Dialoge zu gestalten, Orte der Begegnungen von Menschen und Kulturen zu öffnen. Durch ihre Arbeit erreichen Konflikte und Widersprüche, die wir alle kennen, eine Harmonie, woraus diese Dialoge möglich werden.
Lore Berts Bilder bezeichnet Jan Hoet als
kosmisch gestaltet und kosmopolitisch an Inhalten.
Die Themen sind inspiriert von Erinnerungen und Eindrücken und
Erfahrungen.
Es sind aber nicht nur ihre Erinnerungen, sage ich. Es sind auch ihre Gedanken zur Welt. Zur Welt der Philosophie und der Literatur und der Wissenschaften. Es sind auch gebildete Bilder, wir können lernen. "Art and Knowledge" hieß eine Ausstellung in Venedig, "Lore Bert und die Wissenschaften", eine Ausstellung im Gutenberg Museum in Mainz, "Geometrie - Architektur - Poesie" war der Titel einer anderen Ausstellung. Titel wie "Dreipass" und "Vierpass" spielen mit Ornamenten der gotischen Baukunst. Verse von Rilke und Maximen von Kant hat sie visualisiert.
Wer nicht Kunstgeschichte studiert hat (wie ich) darf einfach sagen: Lore Berts Kunst ist schön. Und dann die Kunsthistorikerin und Museumsdirektorin Beate Reifenscheid (Ludwig Museum):
Schönheit ist maßgeblich eines der wesentlichsten Kriterien all ihrer Entscheidungen, ob sie ein Werk für gelungen empfindet oder nicht.
Schönheit allerdings in einem ganz klassischen Verständnis, so wie es bereits die Philosophen der Antike gelehrt haben. Schönheit bestimmt bei ihr die Proportionen, die Reduktion auf Wesentliches.
Geist und Sinn, Rationalität und Schönheit vereinen sich bei Lore Bert in ihren Werken, die diesen Odem des Schönen ebenso in sich verkörpern wie den des Ewigen.
"Visions of Beauty", "Visionen der Schönheit", war der Titel der letzten Ausstellung in der Galleria Venedig.
Ich hätte auch ganz anders anfangen können und nicht das Feuilleton
zitieren, sondern den Wirtschaftsteil einer Zeitung. Das Magazin
"The European" titelt auf der Seite "Börse am
Sonntag": Wer sind Deutschlands bekannteste Künstlerinnen? Lore
Bert ist die Künstlerin mit den größten Preissteigerungen
derzeit.
Lore Bert gehört zu den erfolgreichsten Künstlerinnen Deutschlands, steht im Top-Ranking von Deutschlands international beachteten Künstlerinnen wie Rebecca Horn und Isa Genzken.
Zur Zeit stellt Lore Bert in Freiburg aus und in St. Louis, Missouri, USA, in Görlitz, Deutschland und im Juni in Felanitz, Mallorca. Titel der Ausstellung: "Weisen der Welterzeugung". Anfang des Jahres stellte sie in Erstein bei Straßburg im Musée Würth aus. Der Sammler Würth sammelt seit Langem Lore Bert - man kann Kunst auch kaufen.
Man kann von Lore Berts Kunst lernen. Man kann sehen, was Schönheit
ist. Und wir können immer aufs Neue einfach staunen. Lore Bert stimmt
uns zu und sagt: Das Staunen ist etwas sehr Schönes und, wie
Aristoteles sagt,
der Ursprung menschlichen Philosophierens.
Diesen schönen Satz habe ich mehrfach auf meinen Bildern zitiert.
Meine Damen und Herren, wir sind in guter Gesellschaft, wenn wir staunen und die Kunst bewundern, die uns Lore Bert schenkt. Nun will ich dieser schönen Ausstellung nicht länger im Wege stehen. Meine kleine Rede habe ich selbstverständlich mit der Hand geschrieben. Auf Papier.
Und jetzt kann ichs kruscheln.