Einführung von
Dr. Ulrich Grevsmühl
zur Ausstellung von
Roland Phleps
Formenkosmos
Zum 100. Geburtstag
am 21. Juli 2024 in der
Skulpturenhalle der
Stiftung für Konkrete Kunst Roland Phleps
in Freiburg
Sehr geehrte Frau Dr. Gillessen,
sehr geehrte Damen und Herren, wertes Publikum,
liebe Freunde,
vielen Dank für die freundliche Einführung und danke an die Stiftung für die Einladung.
Mein erster Kontakt mit Roland Phleps war vor genau 20 Jahren in
der Galerie Wörn in Sulzburg, als wir bei einer Vernissage ins
Gespräch kamen. Damals erzählte er mir begeistert von seiner Reise in
den Oman, auf der er im Gebirge auf zweitausend Meter Höhe weit weg
von jeder Zivilisation einen großen Kreisring aus Steinplatten mit
rund 10 Meter Durchmesser entdeckte, den Hirtenkinder zum
Zeitvertreib aufgestellt hatten.
Ich meinerseits berichtete ihm von einem gemeinsamen Projekt mit dem
englischen Land-Art Künstler Richard Long, der u.a. auch
solche Steinkreise und Ringe als Kunstobjekte sowohl in der Natur als
auch in Galerien und Museen installierte. Phleps bat mich dann um
dessen Adresse und so war es mir eine Freude, ihm den Kontakt zu
diesem Künstler zu vermitteln.
Was Roland Phleps bei dem Steinkreis der Hirten besonders beeindruckte, war der Umstand, dass Kinder sich in spielerischer Freiheit mit einer geometrischen Grundform auseinandersetzten, offensichtlich ohne Anleitung, ohne Notwendigkeit oder Zweck oder Zwang - etwas, was auch er selbst bei seinen eigenen künstlerischen Untersuchungen immer empfand und schätzte.
Roland Phleps hat sich seit Anfang der 90er Jahre intensive mit der Konstruktion von Skulpturen beschäftigt und bis zu seinem Lebensende vor 4 Jahren einen umfassenden Formenkosmos geschaffen, der seinesgleichen sucht. Schon lange ist er als Künstler in seiner Wahlheimat Freiburg nicht mehr wegzudenken.
Als Material für seine Skulpturen verwendet Roland Phleps nicht
rostiges vergängliches Eisen, auch nicht Holz oder anderes organisches
Material, sondern überwiegend sauberes, unverwüstliches und
beständiges Edelstahlblech.
Dieses Material fügt sich nahtlos in unser urbanes Umfeld ein und wird
für uns Städter aufgrund seiner universellen Verwendung im Bau- und
sanitären Bereich, im Haushalt, bei Kosmetikprodukten und in der
Medizin als natürlicher Werkstoff wahrgenommen. Es ist deshalb nicht
verwunderlich, dass die Skulpturen von Roland Phleps vielfach den
öffentlichen Raum prägen und bestimmende Akzente setzen. Und auch dass
seine Werke sich am wohlsten in Parkanlagen fühlen und nicht in der
Wildnis.
Seine Skulpturen sind künstliche Organismen mit eigenständigem Leben und mit einer eigenen Dynamik. Sie erwecken beim Betrachter ein spontanes Interesse. Man bewundert die "Gestalt im Raum" und sieht gleichzeitig den "gestalteten Raum". Man sieht zuerst ein komplexes Gebilde und ist dann doch von der Schlichtheit und Einfachheit überrascht und erahnt den geometrischen Plan, der dem Werk zugrunde liegt.
Roland Phleps schreibt:
Meine Skulpturen sind, von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen, Kompositionen von Modulen, die aus Edelstahlblech geschnitten sind. Diese Bauelemente bleiben als Grenzflächen zwischen Außenraum und Innenraum selbständig, sie bilden also keine geschlossenen Körper, sondern offene Gestalten, die im Raum stehen und zugleich Raum umschließen und die außer ihrem Anblick auch Einblick und Durchblick gewähren.
Im vielfältigen Wechsel der Perspektiven mit unterschiedlichen Überschneidungen der Flächen, mit Öffnung und Verengung des Innenraums und Änderung der Proportionen liegt der intendierte ästhetische Reiz meiner Skulpturen.
Und weiter schreibt er:
Mir wurde bewusst, dass meine Gestalten mit gleichem Recht als Lichtskulpturen wie als Stahlskulpturen zu bezeichnen sind:
Die Körperlosigkeit ihrer Flächen korrespondiert mit der Schwerelosigkeit, der Immaterialität des Lichts. Dieses lebendige Licht-Spiel wird vom Betrachter selbst in Gang gesetzt, wenn er die Skulptur umschreitet oder, bei kleineren Formaten, die Skulptur in langsame axiale Drehbewegung setzt.
Roland Phleps war eine sehr gebildete Persönlichkeit. Geprägt durch eine klassische humanistische Bildung am deutschsprachigen Samuel-von-Brukenthal-Gymnasium in Hermannstadt in Siebenbürgen entwickelte er früh seine Liebe zur Musik, zu den Bildenden Künsten und zur Literatur. Die Schriften der Antike und der deutschen Klassiker, vor allem Johann Wolfgang von Goethe, haben ihn zeitlebens begleitet, was sich in seinen Texten, Ansprachen, Gedichten und auch in den anfänglichen Bezeichnungen seiner Werke widerspiegelt.
Die Auseinandersetzung mit den Skulpturen von Roland Phleps verlangen
vom Betrachter ein gutes Maß an räumlichem Vorstellungsvermögen. Wir
sehen eine Skulptur und fragen uns, wie entstand diese Gestalt?
Roland Phleps hat für seine Untersuchungen und die Modellierung seiner
Werke vielfach Karton verwendet. Und so möchte ich auch mit diesem
Medium beginnen, um Sie in den Formenkosmos von Roland Phleps
mitzunehmen.
Aktivität und Werkanalyse
Interaktive Aktivität mit dem Publikum: Durch Zerschneiden von zusammengefügten Papierbändern werden die Formen Quadrat, Rechteck, Raute und Parallelogramm erzeugt.
1 Kreisscheibe und Kreisring
Die ersten Module, mit denen Roland Phleps seine künstlerischen
Untersuchungen begann, sind Kreisscheibe und Kreisring. Wie kein
anderer Künstler setzte er sich intensiv mit den Möglichkeiten der
künstlerischen Realisierung auseinander. Für ihn waren die
geometrischen Formen und geometrischen Körpern an sich langweilig;
erst durch Verformungen und Überwindung der vorgegebenen Symmetrie
erhielten sie Spannung und einen ästhetischen Reiz.
Exemplarisch wird der Konstruktionsaufbau bei den folgenden Werken durch Einschneiden und Verformung der verwendeten Module gezeigt. Hierzu wird Papier/Karton verwendet.
1-1 Pas de Deux: erstes bedeutendes Werk der Ausstellung
und wegweisend für die künstlerische Entwicklung von
Roland Phleps.
Kreisscheibe, radial bis zum Mittelpunkt eingeschnitten, Enden
versetzt, als Duo, überlagernde Enden erzeugen konkave oder konvexe
Wölbung.
1-2a Dipylon: befindet sich rechts vor dem Eingang zur
Skulpturenhalle und im Botanischen Garten:
Kreisring radial eingeschnitten (R2=1/2 R1): zwei Kreisringe, Enden
werden bündig verbunden l-r, r-l.: Wellenring.
1-2b Tripylon: befindet sich vor der Therme in Badenweiler.
Wie Dipylon, nur mit 3 Kreisringen.
1-3 Sphaira: bezeichnet die Kugel, vertikal ausgerichteter Kreisring mit zwei eingeschlossenen Kreisringen.
1-4 Ikarus: befindet sich links vor dem Eingang zur
Skulpturenhalle.
Zwei aufeinander gelegte Kreisringe, oben radial eingeschnitten
(R2=1/2 R1), obere Enden sind zusammengefügt:
1. Vorderer Kreisring: loses Ende wird nach hinten geklappt,
2. Hinterer Kreisring: loses Ende wird nach vorne geklappt.
1-5 Windspiel: aufgestellt im Freiburger Stadtgarten,
enthält mehrere Kreisringe.
Kreisring radial eingeschnitten (R2=1/2 R1): Enden gegenseitig
verbunden.
2 Module als Bauelemente der Skulpturen
Module-Liste: 2003 veröffentlichte Roland Phleps einen Katalog der
Module, die er damals als Bauelemente in seinen Werken
verwendete.
Wir finden hier zum Teil ungewöhnliche Figuren, die meistens aus den
ebenen geometrischen Formen entwickelt wurden: Teilstücke von
Kreisen, Stücke zwischen Ellipsen, beschnittene Kreisscheiben,
Kreisringe, Ellipsen, aber auch Sinuslinien. Auffallend sind seine
zum Teil eigenwilligen Bezeichnungen wie Kreisbogen-Zweieck,
Kreisbogen-Dreieck oder auch Ellipsenbogen-Viereck. Dieser Katalog
der Module bildet den Auftakt zu seinem Formenkosmos, der in
den späteren Jahren mit räumlichen geometrischen Körpern wie
Zylinder, Würfel und Kugel erweitert wurde.
In der Ausstellung sind hierzu folgende Werke zu finden:
2-1 Kreisbogen-Dreiecke I/3: ‚Mandel‘
2-2 Gleichschenkliges Dreieck zum Reifen gerundet
2-3 Drei Ellipsenbogen-Zweiecke, geöffnete Blüte
2-4 Sinus-Kurven-Relief: Zylindrisch gerundet.
Beim Schneiden des Stahlblechs entstehen vielfach Randstücke, die
meist als Abfall abgetan werden, die Roland Phleps aber in kreativer
Weise zu neuen Gebilden verarbeitete: Tetraeder unter Segel:
von der Decke vorne links.
Ein Beispiel, bei dem beides (Hintergrund und Gestalt)
verwendet wird, sind die Reliefs. Hier wird das Stahlblech als
Hintergrund gelassen und die Skulptur erscheint vordergründig.
3 Laserschneide-Technik
Roland Phleps machte sich auch die Weiterentwicklung in der
Metallverarbeitung zu Nutze. Mit Hilfe der
Laserschneide-Technik konnte Roland Phleps Skulpturen
herstellen lassen, die bislang technisch schwer zu erzielen waren.
Durch präzise und glatte Schnitte mit einer Schnittbreite von nur
unglaublichen 0,2 mm konnte das Stahlblech geschlitzt und dann
zu einer räumlichen Gestalt gebogen werden.
Aus der Gruppe der geschlitzten Objekte finden wir in der
Ausstellung:
3-1 Zylinder mit Dreiecks-Einschnitten gefächert:
Ein schönes Beispiel hierzu ist der Zylinder mit spitzwinkligen
Einschnitten, aufgefächert erweckt er den Eindruck eines Windrotors
mit Dreiecks-Flügeln.
3-2 Geschlitztes Quadrat, diagonal und gegenläufig gerundet
3-3 Geschlitztes Doppelrechteck, gerundet und gespreizt
3-4 Ellipsen-Fächer, gerundet und gespreizt
Im Sinne von Roland Phleps möchte ich mit einem Zitat von Johann Wolfgang von Goethe schließen:
Wenn es eine Freude ist, das Gute zu genießen, ist es eine größere, das Bessere zu empfinden, und in der Kunst ist das Beste gut genug.
Ich wünsche Ihnen viel Freude beim Besuch dieser wundervollen
Ausstellung!
Vielen Dank!