Einführung von
Bettina von Gilsa, Kunsthistorikerin M.A., Kuratorin,
zur Ausstellung von
Bernhard C. Striebel
augenblicksweise
Der Raum als Gesamtkunstwerk
am 10. September 2023 in der
Skulpturenhalle der
Stiftung für Konkrete Kunst Roland Phleps
in Freiburg
Bernhard C. Striebel ist ein Maler und Installationskünstler, der ortsspezifisch Räume gestaltet, verändert und neue überraschende ästhetische Situationen und Erfahrungen erschafft. Der interessierte Besucher wird eingeladen, sich aktiv im Raum zu bewegen und bewusst zu schauen, um die komplexen Veränderungen im Raum und an sich selbst wahrzunehmen. Es geht um Vorstellungen und Vorurteile über Kunst, um ein Spiel mit dem Sehen, mit Sichtbarkeit und Sichtbarwerdung.
Die Ausstellungshalle der Stiftung für Konkrete Kunst hat für Bernhard Striebel ein theaterhaftes Moment: die Halle unten als Bühne für Aktionen, die umlaufende Galerie oben auch für Zuschauende. Er baut unten einen 12 m langen Steg, der als begehbare Bühne dem Publikum dienen soll. Der Besucher soll angeregt und eingeladen werden, den Bühnensteg zu betreten und verschiedene Positionen auszuprobieren: darauf entlang, vor und zurück, auf und abzugehen. Flankiert wird der Holzsteg auf der rechten Seite von mannshohen, auf Abstand gestellten, farbigen, seriellen Ölgemälden, die knapp über dem Boden hängen. Sie spiegeln in ihrem Format die Größe des Künstlers von 1,90 m wider und bilden den Bezugs- und Ausgangspunkt der Größenverhältnisse, wenn der Betrachter auf der rechten Seite des Stegs sehr nah, eigentlich zu nah, unmittelbar vor den Gemälden auf dem Boden steht. Der Betrachter wird sich vermutlich in der direkten Konfrontation ob seiner körperlichen Unterlegenheit unwohl fühlen und mehr Abstand suchen. Für den optimalen Abstand muss er zurücktreten, auf die Bühne steigen und die Mitte einnehmen. Dann befindet er sich auf der vom Künstler vorgegebenen, "richtigen" Betrachterhöhe, fühlt sich komfortabel und ebenbürtig. Diese 8‑teilige Malereiinstallation mit Bühne heißt "vis à vis", von Angesicht zu Angesicht. Je nach Standpunkt verändert sich die Perspektive und auch die Selbstwahrnehmung, dessen soll sich der Besucher bewusst werden. Diese Arbeit ist ein eindrucksvolles Beispiel für Striebels Anliegen, den Besucher zum aktiv Handelnden und Bewegenden im Raum zu animieren und zu lenken, um so subtil seine konzeptionellen Ideen zu vermitteln.
Auf der linken Seite sehen wir den Wandfries "Bildsilber", ein langes, silbrig schimmerndes Rahmenband aus Aluminium-Blattmetall mit sieben ausgesparten Bildfeldern. Die gerahmten Bildfelder zeigen nichts als die leere weiße Wand. Im Vorbeigehen jedoch kann sich der aufmerksam blickende Betrachter im matt glänzenden, reflektierenden Aluminiumband in den Zwischenräumen als unscharfes, diffuses, farbiges Abbild wahrnehmen - eine irritierende, widersprüchliche Erfahrung. Der Titel "Bildsilber" jedoch deutet die Erfahrung schon an: das eigene unscharfe Abbild existiert nur im Silberfeld, nicht im leeren Bildfeld.
Bernhard Striebel verwendet zur Unterstreichung und Gliederung der Architektur in jüngerer Zeit transparente farbigen Folien, die er vor Fensteröffnungen montiert oder von der Decke hängen lässt. Hier in der Stiftung ziert eine gelbe transparente Filterfolie als "Gelber Vorhang" die Eingangs-Fensterfront. Schon von weitem sichtbar, lockt diese Farbveränderung und -gestaltung neugierige Besucher heran. Die gelbe Folie taucht den Ausstellungsraum in ein virtuelles farbiges, helles Licht. Je nach Stand und Intensität des Sonnenlichts verändert sich der durchscheinende gelbe Farbverlauf im Raum: addiert sich farblich zu den verschieden farbigen Oberflächen der Wände, der Objekte, des Bodens und der Decke. Den Verlauf des gelben Lichts auf dem lebendigen, handversilberten und diffus spiegelnden "Bildsilber"-Band aus verschiedenen Positionen und Blickwinkeln zu erleben, ist bei direkter Sonneneinstrahlung ästhetisch phänomenal. Auch hier motiviert der "Gelbe Vorhang" den Besucher sich aktiv im Raum zu bewegen, um die ungewöhnlichen und stetig verändernden Lichtverhältnisse, Spiegelungen und Reflexe im Raum zu erfassen. Der Ausstellungsraum wird hier zu einem großartigen Erlebnisraum.
Der "Gelbe Vorhang" verbindet die untere Halle mit der oberen Galerie. Auf der linken Gangseite hängen drei "Farbige Spiegel", Spiegelfoliengemälde mit beschrifteter Filterfolie: Gelb: IM VORBEIGEHEN, Grün: VON DER SEITE GESEHEN und Rot: EINEN AUGENBLICK. Es sind Anleitungen zur Bewegungsrichtung, zur Blickrichtung und dann die Irritation "EINEN AUGENBLICK", der den Stand- und Blickpunkt offenlässt. Hier wird man stutzen, innehalten und einen Moment überlegen und eigenständig entscheiden müssen, von welchem Standpunkt aus wir den Augenblick erfahren wollen. Ein Stolperstein der das Bewusstsein für die eigene Sehwahrnehmung und Seherfahrung schärft.
Zur Stirnseite hin versperren vier frei von der Decke hängende, gelbe Folien den Rundweg und müssen umgangen werden. Diese filtern das einfallende und durchscheinende Licht auf die 13‑teilige Installation "Grün- und Grauwerte im gelben Licht". Ölmalerei auf Baumwolle wird hier punkt-, beziehungsweise achsensymmetrisch auf Schwarz-Weiß Druck (Fine Art Print) übersetzt und auf Baumwolle gedruckt. Durch das gelbe Licht erhalten die Schwarz-Weißbilder einen grau-grünlichen Farbton und ihre Ölmalerei-Pendants Verschiebungen hin zu dunkleren farbigen Grautönen, d. h. sie gleichen sich an und geben eine breite Palette von farbigen Grautönen wieder.
Wendet sich der Besucher zurück und schlängelt sich zwischen Folienbahnen hindurch zur Brüstung und läuft hier eng entlang, so schwingen und knattern die Folien akustisch mit, spiegeln das Muster des Deckenlichts und den Besucher stark verzerrt wider: eine bewegte, verzerrte Wahrnehmung entspricht nicht der Erfahrung und dem Selbstbild.
Auf der rechten Gangseite hängen Zeichnungen, die wegen ihrer Präsentation in speziellen Rahmen gleichen Typs, lapidar "Container" genannt werden. Hier werden in einem kleinen zweidimensionalen Maßstab Zeichnungen auf kariertem Papier mit cut out-Formen und transparenten Farbfolien kombiniert und zwischen zwei Glasscheiben im Alurahmen vor die Wand montiert. Die Blätter scheinen vor der Wand zu schweben, durch die ausgeschnittenen Partien in der Zeichnung sieht man durch die farbige transparente Filterfolie die dahinterliegende Wand. Die zweidimensionale Zeichnung gewinnt so räumliche Tiefe und spiegelt ja auch noch den vor ihr liegenden Raum, bzw. den Betrachter wider.
Der Titel der Ausstellung "augenblicksweise" bezieht sich auf die Seh-Wahrnehmung. Diese Augenblicke verändern sich ständig je nach Position, Blickrichtung oder Bewegung des Betrachters, der Betrachterin im Raum. Ergänzend verändern sich die Momenteindrücke durch die unterschiedlichen Lichtverhältnisse. Der Raum als Ganzes kann nur aus der Summe der Einzeleindrücke erfasst werden. Sich bewusst zu werden, wie komplex unsere individuelle Wahrnehmung und Erkenntnis sich gestaltet, ist ein zentrales Anliegen Bernhard Striebels.
Es lohnt, sich die Ausstellungen zu verschiedenen Tageszeiten zu besuchen, ob wir die Rauminstallation bei diffusem Tageslicht oder bei intensiver, direkter Sonneneinstrahlung genießen. Im Streiflicht der Sonneneinstrahlung entfaltet der Raum sensationelle Farb- und Spiegelerlebnisse. Ich wünsche Ihnen viel Vergnügen beim Entdecken und Wahrnehmen dieser Rauminstallation!