Ansprache von Dr. Claudia Rönn-Kollmann zur Eröffnung der Ausstellung von
Natacha Caland und Ueli Gantner
"Duett in drei Dimensionen"
"trois dimensions en duo"
am 15. September 2019 in der
Skulpturenhalle der
Stiftung für Konkrete Kunst Roland Phleps
in Freiburg
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freunde unserer Stiftung,
herzlich begrüße ich Sie zur Ausstellung "trois
dimensions en duo / Duett in drei Dimensionen" bei der wir
Reliefs, "tableau-sculptures" und Skulpturen von Natacha
Caland und Ueli Gantner zeigen.
Bienvenue Madame Calant et herzlich willkommen cher Monsieur
Gantner. Merci à vous d'être avec nous aujourd'hui.
Die musikalische Gestaltung der heutigen Ausstellungseröffnung hat Sebastian Wohlfarth (Viola) übernommen. 15 Jahre ist es her, dass er zum ersten Mal bei einer Vernissage (Staechelin) in der Ausstellungshalle unserer Stiftung musizierte. Ein herzliches Willkommen auch an Sie, lieber Herr Wohlfarth.
Danke auch an Dich, liebe Elisabeth (Keune), für die Mitgestaltung dieser Ausstellung und die organisatorische Unterstützung.
Bevor ich unsere Gastkünstler und ihr Werk vorstelle, möchte
ich Ihnen, meine Damen und Herren, kurz erzählen, wie es zu dieser
Ausstellung kam.
Bei einem Interview mit unserem Stifter Dr. Roland Phleps
stellte Frau Dr. Friederike Zimmermann ihm u.a. die Frage,
wie er die Künstler zu unseren Gastausstellungen einlade. Ich
zitiere Roland Phleps: Erstens, das Kunstwerk soll gut
sein, es soll eine Qualität haben. Zweitens, es soll in die Halle
passen. Manche Künstler bewerben sich mit einem Katalog, das
führte mehrfach zum Abschluss. Ab und zu war ich mit Claudia
Kollmann auf der art Karlsruhe oder der art Basel, auch das hat
wiederholt zu einem Abschluss geführt. Und dann schaut man sich so
um.
Auf die dann folgende Frage: "Spielt bei der
Auswahl auch das Menschliche eine Rolle?" antwortete Roland
Phleps: Es spielt eine Rolle! Wir hatten in den
letzten Jahren zwei Künstler, die mir und einander mit ihren
Werken ganz nahe sind. Das hatten die beiden auch empfunden: Ueli
Gantner und Karl Menzen …
Und auf die Frage:
Ist Emotionalität aber nicht etwas, das der Konkreten Kunst
allgemein eher abgesprochen wird? antwortete Dr. Phleps:
Ach Gott, was sind das für Zeitgenossen! Mich stört
die "Trockenheit" vieler konkreter Kunstwerke. Denn das
Leben ist ja ohne Emotionen nicht lebendig. Wenn die Konkrete
Kunst nur Regeln folgt, so ist das, wie wenn eine Köchin nur nach
Rezept kocht. Schmeckt Ihnen das? Nein! Die Speise muss noch ihren
"Pfiff" haben. Und so ist es auch in der Konkreten
Kunst. Wenn diese sich nur nach Regeln ausrichtet, wird es in
Kürze langweilig.
"Speise mit Pfiff", mit Qualität, ohne Langeweile, Farben, die die Halle zum Leben bringen, Kraft und Fülle durch Reduktion - ja, meine Damen und Herren, das präsentieren unsere beiden Gäste Natacha Caland und Ueli Gantner mit ihrem "Duett in drei Dimensionen", den "trois dimensions en duo".
Natacha Caland in Epinal geboren, studierte Musik (Bachelor of Musicology an der Universität Straßburg) und Architektur (Fachhochschule ENSAS) in Straßburg, wo sie heute lebt und seit 2009 als Künstlerin arbeitet. Bei ihren monochromen Arbeiten, auch "tableaux-sculpture" (skulpturale Gemälde) genannt, die sie in den 10 Jahren ihres künstlerischen Schaffens in Frankreich, Deutschland, Belgien und Holland ausstellte, spürt man ihre Faszination für das Spiel mit dem Licht - eine Faszination, die sie mit unserem Stifter Roland Phleps verbindet.
Der Bildhauer und 3D-Gestalter Ueli Gantner lebt und arbeitet in Bülach / Schweiz. Er ist mit seinem Werk bei europaweiten Ausstellungen anerkannt und war mit seinen Lamellenreliefs und Eisenplastiken, die sich in der absoluten Reduktion auf das Wesentliche konzentrieren, bereits im Jahr 2017 Gast in der Skulpturenhalle unserer Stiftung. Gern hat er meinem Vorschlag zugestimmt, nicht nur zur Freude unseres Stifters erneut bei uns auszustellen. Allerdings hatte ich eine Bedingung: Er sollte diese Ausstellung mit einem Künstlerkollegen, bevorzugt einer Künstlerkollegin seiner Wahl gestalten. Begeistert erzählte er mir von einer Künstlerkollegin aus Straßburg, deren Werk er sehr schätze: Natacha Caland! Wir sind dankbar für diese so gute Empfehlung!
Ueli Gantner und Natacha Caland, die sich beide in der konkret-konstruktiven Kunst eingebettet fühlen, begegneten einander und entdeckten die auffallende Nähe in ihren künstlerischen Arbeiten. Ihre Werke, bestehend aus Systemen fortschreitender Module, spielen mit Licht, Schatten, Bewegungen und lassen so einfache geometrische Formen sichtbar werden. Neben ihren eigenständigen, persönlichen Forschungen begannen sie sich auszutauschen und zusammenzuarbeiten. Unsere Herbstausstellung bietet die Gelegenheit, ihre gegenseitigen Annäherungen im zeitgenössischen Konstruktivismus zu entdecken.
Aus der doppelten Ausbildung kommend, kombiniert Natacha Caland ihre Liebe für Formen und Rhythmus in ihren monochromen Arbeiten, die sie in Präzision plant, wie sie das von den Maquetten (Modellen) aus ihrer Tätigkeit als Architektin kennt.
Ihre Arbeit, im Wesentlichen monochrom, konzentriert sich auf die Formung einfacher Linien, die nur in ihrem Umriss durch Licht definiert sind. Jedes Werk besteht aus Hunderten von nahezu identischen Modulen, die wiederholt zusammengesetzt und eingefügt werden. Diese Holz- oder Pappstücke nehmen zunehmend an Tiefe zu und bestimmen schließlich die Form, indem sie unendliche Farbtöne derselben Farbe freigeben.
"Ich versuche, Schatten und Licht durch die Bewegung zufälliger und kontrollierter Formen in Szene zu setzen, die immer von einem System bestimmt werden. Jedes skulpturale Gemälde besteht aus der Nebeneinanderstellung einer Vielzahl identischer Module, die sich entlang einer vordefinierten Logik bewegen. Millimeter für Millimeter zeigt der Verlauf dieser Module fast unmerklich Unterschiede in der Intensität der Farben."
Die Abfolge der Formen in einem engen Intervall (z.B. Rouge
virevolte - Rot wirbelnd, 2018), schrittweise (z.B.
Flammes Blanches - weiße Flammen, 2018) oder durch
subtile Verschiebungen (z.B. Mooving Blue - Blau bewegen,
2016 oder Noir de monde - Schwarz der Welt, 2009)
erzeugen einen Verlust an Orientierungspunkten, die durch die
Farbe hervorgehoben werden.
Die farbigen Holzreliefs irritieren zunächst den Betrachter,
hinterfragen seine Wahrnehmung. Zwischen der Immobilität der
skulpturalen Formen und der Bewegung, die das Auge schafft, ist
der Betrachter erst einmal nicht in der Lage, den Kontakt von
Formen und Farben zu assimilieren, ehe er, fasziniert von der
Wandlungsfähigkeit des Erscheinungsbildes der Kunstwerke, ihren
hohen ästhetischen Reiz erlebt (z.B. Lune dorée – Goldener
Mond, 2016).
Natacha Caland erläutert, dass sich die Dreidimensionalität ihrer monochromen / skulpturalen Gemälde aus mehreren möglichen Visionen des Werkes ergibt:
- Variationen des Umgebungslichts
- Bewegung des Betrachters, die dessen Wahrnehmung verändert.
- Vibrieren des Werkes
Natacha Caland bearbeitet die Grenzen und das Unendliche, das Flüchtige und das Vergängliche, das Zufällige und die Ordnung, um durch den Blick des Zuschauers ästhetische Emotionen zu erzeugen, die aus dem Unausgesprochenen und dem Unbewussten hervorgehen.
Mit anderer Formensprache zeigt auch Ueli Gantner in
beeindruckender Weise, wie der rationale Ansatz der Konkreten
Kunst "nicht zu trocken, zu formalistisch" sein kann,
sondern "im Gleichgewicht ist mit dem ästhetischen
Ansatz" (Roland Phleps, 2018). Die Basis seiner Arbeiten ist
fast immer das Quadrat. Ab und zu kombiniert er es auch mit
Kreisen, Dreiecken, platonischen Körpern wie Tetraeder oder
Oktaeder. Seinen Werken geht wohlüberlegte Planung voraus, in der
er Formen, Kontraste, Gegensätze, Farben, Proportionen in ein
stimmiges Verhältnis bringt. In der Auseinandersetzung mit Licht
und Schatten, Verdichtung und Auflösung im Raum, entstehen die
weißen Reliefs, um mit einem Minimum an Mitteln eine Aussage zu
machen. In der absoluten Reduktion auf das Wesentliche
offenbart sich das wahrhaft Wertvolle in der Kunst
(Ueli Gantner, 2012).
Das Spiel mit Licht und Schatten kommt bei den Lamellenreliefs
in anschaulicher Weise zum Ausdruck. Die
Lamellenstruktur dient als minimal und höchst durchdacht
organisiertes Handlungsgerüst und Projektionsfläche für
bildgewordene Virtualität, die gleichsam Energien aus der bewegten
Leere hervorgehen und auf den Betrachter wirken
lässt.
(Sabine Arlit in dem Buch "ueli gantner,
Werke 3, 2015, dem ich wertvolle Hinweise für meine
Einführung verdanke).
Mit Licht und Strukturen will der Künstler Formen wahrnehmbar
machen, die erst durch die visuelle Wahrnehmung und
mit Ergänzung unserer Hirntätigkeit erkennbar werden
(Ueli Gantner).
Mit seinen 3-dimensionalen Lamellenreliefs gehört Ueli Gantner zu den führenden zeitgenössischen Vertretern der optischen Kinetik. Einfache Bewegung und Perspektivwechsel lassen den Betrachter überraschende Farb- und Formwechsel durch wechselseitig unterschiedliche Färbung, Zuschnitt und Anordnung der Lamellen erleben (Bsp. pn 18h). Auf diese Weise macht Ueli Gantner in seinen Werken Raum, Körper, Bewegung und Zeit erfahrbar und hebt er die klassische Vorstellung vom Bildbetrachter auf, der still und andächtig vor einem Kunstwerk zu verweilen habe.
Die Form steht bei Gantner im Vordergrund. Neben rein weißen
Gestaltungen arbeitet er häufig mit den drei Primär- sowie deren
Komplementärfarben. Schwarz ergibt sich bei Ueli Gantner stets aus
der Mischung von primärem Rot, Gelb und Blau, denn - so
Gantner: Es gibt nichts farbigeres als
Schwarz
(Bsp. "pn g2" und
"pn z").
So sind Ueli Ganters Werke
fest eingebettet in die konkret-konstruktive Kunst; mit einem
Minimum am Bildmitteln strebt er nach einem Maximum an Aussage.
Exkurs:
Bei den Bezeichnungen der Reliefs,
z.B. pn g2 oder pn z oder pn 18h fragte ich mich,
was das wohl zu bedeuten habe - ein Minimum an??? Soll das
auch ein Zeichen radikaler Reduktion sein? Als ich mich auf der
Homepage des Künstlers "umsah", fand ich eine
überraschende Antwort auf meine Frage unter dem Thema
"Begegnung": Begegnungen bringen
Erkenntnisse, die dem eingeschlagenen Weg eine andere Richtung
geben können. Die größten Erkenntnisse bekomme ich, wenn ich mir
selber begegne. Die Werke zum Thema "Begegnung" haben keine
expliziten Titel mehr. Ich verwende die Bezeichnung "rb" und
"rbb", räumliche Begegnung, für die Objekte und "Relief b" für die
Reliefs. Die Nummer verweist auf die Reihenfolge ihrer Entstehung
hin.
Warum? Es sind für mich erlebende Momente, Begegnungen
auf das wesentliche reduziert, Symbole der Freude und des Glücks
es machen zu dürfen und dabei das Entstehen erleben zu können. Es
steht dir frei, an diesen Momenten teilzuhaben, Momente, die keine
Worte mehr brauchen.
Die weißen Lamellenreliefs aus den Jahren 2018 / 2019 (z.B. "pmn w", "pn k", "pn l", "pn r", "pn v", "pnc v") zeigen in besonderer Weise, wie weiß die Farbe des Lichts, der Freude und der Stille ist.
Unsere Stiftung zeigt aus dem reichhaltigen Œuvre von
Ueli Gantner auch drei Arbeiten ("verdrehte Quadrate")
aus gerostetem Corten-Stahl und eine aus geschliffenem
Chromstahl - eine Hommage an die Form, die auch unserem
Stifter so sehr am Herzen liegt.
Ich zitiere Ueli Gantner: Die Stahlplatte - das
Quadrat: Eine reine geometrische Form, nach harmonischem Maß und
Gesetz eingeschnitten, einmal, zweimal, dreimal usw. ermöglicht
das Formen zu einem dreidimensionalen Objekt, das trotz seiner
gegensätzlichen Wahrnehmung in präziser Beziehung zur
Ursprünglichkeit steht. Eine Form ohne Anlehnung an das
Naturalistische und Abstrakte, eine Form reinen geistigen
Ursprungs.
Bei den Skulpturen aus gerostetem
Corten-Stahl (Bsp. "pmc 12") erschließen
sich nicht auf den ersten Blick, dass es sich um Quadrate handelt.
Streng, gemäß den Gesetzen der Konkreten Kunst, müsste sich die
Form klar erschließen lassen. Ueli Gantner hat den Mut zu
einer - wie ich finde - erweiternden Formensprache,
einer "variationsreichen Raumbefragung".
Meist schneidet er zwei oder dreimal in die
quadratische Grundfläche, um darauf die aufgebrochene, nach wie
vor gleich große und plan daliegende Fläche abzuheben und
plastisch zu verformen
(Arlitt).
"Duett in drei Dimensionen" /
"trois dimensions en duo"
Sind die Werke verwandt und doch verschieden, so wie
es bei Ihnen, lieber Herr Gantner und Herrn Menzen der Fall ist?
Dr. Phleps hat diese Frage aufgeworfen und in dem zitierten
Interview im Hinblick auf das Terzett Gantner-Menzen-Phleps
beantwortet.
Ich wage eine Einschätzung: An den Werken von Natacha Caland und
Ueli Gantner überzeugt mich die Einfachheit und Eleganz, die aus
dem Zusammenspiel von Form, Farbe und Reduktion, hervorragender
Kenntnis der Materialien und beständiger "Forschung" (=
radikaler Zuwendung und beständiger (Weiter-)Entwicklung des
Œuvres) besteht. Wie mir scheint, sind sie, die Architektin
und der Bildhauer, bei dem aktuellen gemeinsamen Projekt /
Wettbewerb
Kunst am Bau für einen Erweiterungsbau des Krankenhauses in Uznach
Lauréate du concours pour une intervention artistique à l'hôpital de Uznach (Suisse). »Mur de l'espoir« (16m x 2m); (siehe Modell an der Stirnseite der Galerie)
auf einem Weg, der das Zusammenspiel von geistiger Ausrichtung, Form und Reduktion im Licht der Architektur verbindet.
Liebe Frau Caland, lieber Herr Gantner! Für Ihr weiteres künstlerisches Schaffen wünsche ich Ihnen viel Erfolg und bedanke mich, dass Sie zum Ausklang des Jahres 2019 unsere Gäste sind. Das ist wirklich eine Freude!