|
Skulpturen im Licht - Lichtskulpturen
Versuchen wir einmal, uns vorzustellen, welche Möglichkeiten ein Blinder
hat, eine Skulptur "anzusehen".
Er könnte sie mit seinen Fingerkuppen abtasten, er könnte sie mit
Händen umschließen, mit ausgebreiteten Armen zu ermessen versuchen, und
sein durch die Blindheit geschultes räumliches Vorstellungsvermögen gäbe
ihm aufgrund der erlangten Informationen eine Ahnung von
dem Bildwerk. Er könnte aber weder das Lächeln auf einem Gesicht, noch
die Proportionen der Gesamtgestalt erspüren.
Vor allem aber könnte er die Skulptur nicht im Raum sehen, und das
heißt: die Gestalt im Licht erleben, das Zusammenspiel von Helligkeit
und Schatten, das ihre Körperlichkeit hervortreten läßt, die
Veränderungen von Ausdruck und Eindruck bei unterschiedlichem
Lichteinfall. Das Licht als konstruktives Element der Gestalt im Raum
ist uns so selbstverständlich, daß wir es uns "wegdenken"
müssen, wollen wir seine fundamentale Bedeutung
ermessen. -
Ehe ich auf das Verhältnis meiner Stahlskulpturen zum Licht eingehe,
muß ich deren Besonderheit als offene Skulpturen im Unterschied zu
körperhaft geschlossenen Skulpturen ansprechen. Meine Skulpturen sind,
von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen, Kompositionen von Modulen, die
aus Edelstahlblech geschnitten sind. Diese Bauelemente bleiben als
Grenzflächen zwischen Außenraum und Innenraum selbständig, sie bilden
also keine geschlossenen Körper, sondern offene Gestalten, die im Raum
stehen und zugleich Raum umschließen und die außer ihrem Anblick auch
Einblick und Durchblick gewähren. Im vielfältigen Wechsel der
Perspektiven mit unterschiedlichen Überschneidungen der Flächen, mit
Öffnung und Verengung des Innenraums und Änderung der Proportionen
liegt der intendierte ästhetische Reiz meiner Skulpturen.
Schon früher habe ich darauf hingewiesen, daß mir im freien Spiel die
Inventionen "zufallen", die zu immer neuen Gestalten und
Variationen führen. Es waren also primär Gestalten, nach denen ich
suchte. Um sie zu verwirklichen, brauchte ich ein geeignetes
Material. Nach bescheidenen Anfängen mit Karton und Kunststoff-Folien
fand ich im Edelstahlblech den bestgeeigneten Werkstoff, um das Ziel zu
erreichen: das biegsame, elastisch reagierende, durch Schneide- und
Schweißtechniken präzise zu verarbeitende Material.
Mit der Wahl des Edelstahls - es war eine glückliche
Wahl! - hatte ich unversehens einen das Wesen meiner
Skulpturen bestimmenden Faktor eingehandelt: das Licht. Mit wurde
bewußt, daß meine Gestalten mit gleichem Recht als Lichtskulpturen zu
bezeichnen sind wie als Stahlskulpturen: Die Körperlosigkeit ihrer
Flächen korrespondiert mit der Schwerelosigkeit, der Immaterialität des
Lichts.
Wenn ich mir erlauben wollte zu schwärmen, könnte ich den berühmten Abt
Suger von Saint Denis zitieren, den geistigen Vater der gotischen
Architektur, der bestrebt war, im Kirchenbau das Himmlische Jerusalem
der Apokalypse nachzubilden als "Stadt aus Licht
erbauet".
Mir ist nüchtern bewußt, daß der Glanz, der Schimmer, das Leuchten und
das Verdämmern der gewölbten Flächen Reflexe des Sonnenlichts, einer
künstlichen Beleuchtung oder der Farben der Umgebung sind, -
ich erlebe aber das Licht auf der Skulptur als Licht der Skulptur
selbst.
Dieses Licht könnte das voll reflektierte, blendende Sonnenlicht sein,
wenn ich den Stahl zum Spiegel polieren ließe; dann wäre das Licht aber
"hart wie Splitter im Auge". Ich könnte die Oberfläche so
stumpf mattieren lassen, daß sie das Licht gleichsam verschluckte. Was
meinem ästhetischen Anspruch am nächsten kommt, ist ein fein- bis
mittelkörniger Bürstenschliff des Stahls, der ein lebendiges Spiel des
Lichts auf den Wölbungen ermöglicht.
Dieses lebendige Licht-Spiel wird vom Betrachter selbst in Gang
gesetzt, wenn er die Skulptur umschreitet oder, bei kleineren Formaten,
die Skulptur in langsame axiale Drehbewegung setzt.
HEINZ MACK, einer der Begründer der ZERO-Bewegung, die dem Licht
huldigt, hat beim Betreten unseres Gartens nicht auf eine Skulptur
geachtet, an der er eben vorbeiging, sondern auf den blendenden Reflex,
der von einer vierzig Meter entfernten Skulptur kam, mit dem Ausruf:
"Da!". Die weichen Übergänge und Abstufungen der Lichtwerte
auf einer Skulptur empfand er als "malerisches Element",
das dem Wesen der Skulptur fremd sei.
Mag beides den Licht-Skulpturen zustehen - der starke Glanz
und der sanfte Schimmer, der harte Schatten und der weiche
Übergang.
Das Licht - ein physikalisches Phänomen.
Das Licht - Grundvoraussetzung allen Lebens.
Das Licht - Element aller bildenden Kunst.
Das Licht - ihr edelster Werkstoff.
|
|
|
|