Harmonien aus Licht, Materie - und Leere
Zu Johannes von Stumms Ausstellung "Licht und Leere" in der Halle der Stiftung für Konkrete Kunst in Freiburg
Von Hans-Dieter Fronz
Plastische Werke aus Bronze und Edelstahl bespielen die Skulpturenhalle der Stiftung für konkrete Kunst. Geboten werden in der Ausstellung mit Werken von Johannes von Stumm auch Arbeiten aus Aluminium. Roland Phleps, der im April 2020 verstorbene Gründer der Stiftung, hätte als Metallplastiker und Freund des seit Mitte der Neunzigerjahre in Großbritannien lebenden deutschen Künstlers, seine Freude an den Skulpturen. Dazu hängen Zeichnungen an den Wänden und Prägedrucke, auch eine Radierung.
Zwischen all diesen Werken begegnet man hybriden plastischen Formgebilden. Es sind zum guten Teil durchbrochene Skulpturen und Bildwerke, die unterschiedliche Materialien zu erstaunlichen Schöpfungen zusammenführen. Da treten Glas und Granit in eine Beziehung zueinander, etwa in "Kleiner schwebender Stein". In "Andreaskreuz" verbindet sich Glas mit Bronze, die Schau hat aber auch Skulpturen, die sich aus allen drei Werkstoffen gleichzeitig gebildet werden - wie "Vollmond" oder "Kleine Grazie". Wieder andere Werke enthalten – über die bereits genannten - Werkstoffe hinaus – Materialien wie Eisen, Kalkstein oder Muschelkalk. Einige Skulpturen setzen sich gar aus vier Werkstoffen zusammen - Kunstwerk für Kunstwerk Resultat einer geradezu demonstrativ uns vor Augen geführten Vermischung dieser Stoffen. Mit seinem Materialmix setzt der Bildhauer Johannes von Stumm ungeschriebene Gesetze seiner Kunst außer Kraft - en passant sozusagen, beiläufig, ohne Trara. Ganz schön kühn, das!
Die meisten der genannten Skulpturen und Grafiken sind figürlich - freilich häufig in stark stilisierter und an der Geometrie orientierter Form. Andere lassen sich schlechterdings als geometrische Abstraktionen beschreiben. Gerade in diesen letzteren, abstrakten Werken zeigt sich besonders ausgeprägt die Tendenz des Künstlers, verschiedenste Materialien miteinander zu verbinden. Es ist, als wolle der Bildhauer seine zentrale künstlerische Zielsetzung vor allem auch in der Verwendung bereits stofflich stark voneinander unterschiedener (und somit der Harmonisierung widerstrebender) Elemente erproben. Denn gerade als Gestaltung, Gestaltwerdung von Harmonie ließe sich Johannes von Stumms oberste Zielsetzung beschreiben. Die Diversität der verwendeten Materialien, so scheint es, ist für ihn so etwas wie der Probierstein seiner Kunst. An ihr kann und soll sie sich bewähren, diese Zielsetzung.
Das Streben nach Harmonie spricht aus nahezu jedem einzelnen Kunstwerk der Ausstellung. Tragende Attribute von Harmonie sind Ausgewogenheit und Gleichmaß. Gerade sie lassen sich in Johannes von Stumms Werken entdecken in der exakt symmetrischen Anlage vieler Kompositionen. Etwa sehen wir eine ganze Reihe entschieden statuarisch sitzender Figuren. Ihre innere Balance und Ausgeglichenheit werden in der vollendet symmetrischen Körperhaltung gleichsam anatomisch sichtbar.
Zumal in einigen figürlichen Gestaltungen, die religiöse Kontexte zitieren, herrscht solche Symmetrie: in gesteigerter Form etwa in "Kontemplation I und II", zwei Bronzeskulpturen mit Darstellungen des meditierenden Buddhas. In noch höherem Maße gilt dies von der Skulptur "Ich bin das Licht der Welt – Kreuz" in Bronze – aber auch von der "Willkommensfigur", ebenfalls in Bronze, deren Habitus im Ausbreiten der Arme ihrerseits an die Gestalt des Erlösers am Kreuz gemahnt. Diese Figur, die eine ganze Werkreihe generierte, schuf der Bildhauer im öffentlichen Auftrag und als Präsident der Royal Society of Sculptors in London. Gleiches gilt für "Paar im Gespräch" und "Händehaltendes Paar", zwei ebenfalls stark durch eine symmetrische Anlage geprägte Kompositionen. In diesen religiös konnotierten Kontext gehören auch die betende "Kniende Figur" und, als Darstellung einer antiken Göttin, die "Kleine Grazie", ein Mischwesen aus Bronze und Glas.
Die Vorliebe des Bildhauers für symmetrische Gestaltung lässt sich in der Ausstellung auch an einer Reihe geometrischer Abstraktionen exemplifizieren. Freilich wird in "Flechtwerk" und "Dreieinigkeit" die sonst strenge Symmetrie durch den Materialmix der Werke ein Stück weit aufgeweicht. Zeitigen die verwendeten drei respektive vier unterschiedlichen Materialien in ihrer Verbindung doch einerseits zwar eine abwechslungsreiche Außenansicht, die in formaler Hinsicht jedoch von einer streng symmetrischen Gestaltung ein Stück weit abweicht.
Dagegen wahrt ein weiteres Werk, dem die Kreisform zugrunde liegt, Symmetrie noch in der Verwendung zweier unterschiedlicher Materialien, Glas und Muschelkalk. Der Kreis gilt in der Kunst als vollkommene geometrische Figur. Freilich ist er in dieser Vollkommenheit – so jedenfalls hat es Roland Phleps einmal formuliert – zugleich "vollkommen langweilig". Es wäre denn, man bricht diese Form auf (so operierte Phleps selbst) oder entlockt ihr in der Störung ihrer solipsistischen Identität mit sich selbst einen wahrhaft menschlichen Gehalt, wie Johannes von Stumm es tut.
So setzt sich die Skulptur "Zwei Kreise" aus je zwei Halbkreisfirmen aus Muschelkalk und Glas, die sich beide jeweils zu einem Kreis verbinden, zusammen. Wenn sich zwei Formen aus unterschiedlichen Materialien zur vollkommenen Form des Kreises zusammenfügen, lassen sie sich als eine Art Muster oder Sinnbild für zwischenmenschliche Begegnung, für gelingende menschliche Kommunikation deuten. – Auch der Skulptur "Vollmond" ist, als Leerstelle, die Figur des Kreises einbeschrieben. Und auch hier verwendet der Bildhauer verschiedene Materialien. Doch gibt er in diesem konkreten Fall die Symmetrie der Komposition als gesamter auf – ein Umstand, der die Deutung von Symmetrie als bestimmendem Element der Gestaltung gerade auch von menschlicher Harmonie im Werk Johannes von Stumms zu unterstützen scheint.
Eine Eigenschaft von Harmonie ist das Zusammenstimmen, die glückliche Verbindung unterschiedlicher Elemente, die erst in solchem Zusammenspiel ein harmonisches Ganzes ergeben. Die Unterschiedlichkeit der vier Materialteile der Skulptur "Puzzle" – Kalkstein, Granit, Glas und Edelstein - wird im Material- und Farbmix unterschiedlicher Werkstoffe und der Farben noch unterstrichen. Dennoch ergeben sie, indem die einzelnen Bestandteile in der Form zusammenpassen, auch ein harmonisches Ganzes. In zwei weiteren "Puzzles" unterscheiden sich die einzelnen Teile in den Farben. Zusammenstimmen und Zusammenspiel der verschiedenen, sich voneinander unterscheidenden Teile ist auch in der Realisierung – und mithin in der künstlerischen Gestaltung - (zwischen)menschlicher Harmonie erforderlich.
Auch auf diesem Feld ist Symmetrie ein bevorzugtes Stilmittel des Bildhauers. Zwei geöffnete und sich berührende Hände sowohl in einem Prägedruck wie in einer Edelstahlskulptur sind streng symmetrisch einander angeordnet. Es könnten die Hände einer einzigen Person sein, doch lässt der Titel "Berührung" an ein zwischenmenschliches Geschehen denken. Nicht ausgeschlossen übrigens, dass hier als Zitat der göttlich-menschliche Fingerkontakt in Michelangelos berühmtem Deckenfresko in der Sixtinischen Kapelle in Rom mitschwingt.
Somit ist Symmetrie bei Johannes von Stumm Sinnbild und ein formaler Statthalter für Harmonie auch im Bereich figürlicher Gestaltung - zumal in der Darstellung von Paaren. Zumindest annähernd symmetrisch gestaltet sind das "Paar im Gespräch" in der gleichnamigen Edelstahlskulptur wie auch das "Sitzende Paar" einer Zeichnung; streng symmetrisch gestaltet wiederum Metallskulpturen "Quadratisches Paar" und "Mutter und Kind" sowie die beiden Werke "My Absent Friend" in Bronze und Edelstahl (in letzteren, könnte man vermuten, ist die Freundschaft des Künstlers mit Roland Phleps gestaltet). Dagegen fällt der "Stürzende" am Ende des Parcours buchstäblich aus jedem Harmoniezusammenhang heraus.
Doch das sollte offenbar nicht das letzte Wort der Ausstellung sein. Gleichsam aufgefangen wird dieser Stürzende von der unmittelbar folgenden, den Parcours beschließenden Skulptur "Tanz", die ja schon im Titel auf eine ebenfalls "exzentrische" Körperbewegung verweist. Wobei auch Tanz - und übrigens jede andere Form der Ekstasis - in gewisser Weise ein Heraustreten aus dem Harmoniezusammenhang darstellen; das klingt in den Schlussversen von Hölderlins Hymne "Der Rhein" an, in denen "alles gemischt" und "ordnungslos" erscheint und wiederkehrt nächtlich-"uralte Verwirrung".
Auffällig ist der Umstand, dass Symmetrie sich auf dem Feld figürlicher Kunst bei dem Bildhauer häufig über die Deckungsgleichheit von Positiv- und Negativformen ergibt. Leere und Leerform spielen insofern eine entscheidende Rolle im Werk Johannes von Stumms. Auch in der Ausstellung sind die meisten Figuren durchbrochen, als Aussparung im jeweiligen Material präsent. Die Dialektik von "Fülle und Leere" (so der Titel einer Skulptur) - in Johannes von Stumms künstlerischem Werk ist sie ein weites Feld.